Mit dem „Fliegenden Holländer“ wird in der Oper im Steinbruch St. Margarethen ein für Richard Wagners Œuvre weichenstellendes musikdramatisches Werk gezeigt.

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Im Steinbruch St. Margarethen geht ein Schiff vor Anker – Richard Wagners romantische Oper „Der fliegende Holländer“ kommt im Burgenland zur Aufführung. Es handelt sich um ein Frühwerk des Komponisten, das er noch vor seinem 30. Geburtstag im Eindruck einer Seefahrt schrieb. Später erklärte Wagner diese (eigentlich seine vierte) Oper zu seinem ersten vollgültigen musikdramatischen Werk. In diesem Artikel erfahren Sie, warum Richard Wagner den „Fliegenden Holländer“ die Wurzel seines Schaffens betrachtete und welche Ideen er damit bereits verfolgte.

Wie prägte die Handlung des „Fliegenden Holländers“ Wagners weitere Werke?

Im „Fliegenden Holländern“ setzte sich Richard Wagner erstmals mit dem Thema „Erlösung“ auseinander, das ihn sein gesamtes künftiges Schaffen lang begleiten sollte. Dabei ist ein Wandel in der Auffassung erkennbar, auf welche Wiese diese Erlösung erreicht werden kann. Zunächst scheint sie durch Liebe möglich: Nicht nur im „Fliegenden Holländer“ opfert sich die Frau für den Protagonisten, auch in Wagners nächster Oper „Tannhäuser“ (1845) findet die Titelfigur durch den Tod der Geliebten endlich Seelenheil. Im „Parsifal“ (1882) erreichte Wagners Auseinandersetzung mit dem Thema ihren Höhepunkt; die Geschichte des Gralsritters gilt als „Erlösungsoper“ schlechthin. Doch das Weltbild des Komponisten hatte sich mittlerweile gewandelt: Geprägt von den Schriften Arthur Schopenhauers und den Lehren des Buddhismus konnte in seinem Spätwerk nicht mehr die Liebe als Erlösungsweg dienen. Vielmehr müsse man sich von allem – einschließlich der Liebe – lossagen; erst Enthaltsamkeit und Askese bringen den Figuren des „Parsifal“ Frieden.

Die Erlösung des „Fliegenden Holländers“ verdichtet sich in der Figur der Senta, deren Ballade das kompositorische und ideelle Zentrum der Oper bildet. Senta steht in der Erzähltradition der Romantik: Sie fühlt sich zum Unheimlichen und Abgründigen hingezogen und ist seit ihrer Kindheit fasziniert vom verdammten Kapitän. In ihrer Ballade erzählt sie nicht nur vom Fluch des „bleichen Mannes“, sondern auch von der Möglichkeit, diesen zu brechen. Sie selbst sehnt sich danach, jenes „treue Weib“ zu sein, durch das der Holländer Erlösung finden soll. Ihren Entschluss dazu fällt sie nicht im Rausch der Liebe, sondern noch bevor sie dem Verfluchten leibhaftig gegenübersteht – es scheint ihre Bestimmung zu sein, dem Schicksal des Geisterkapitäns entgegenzuwirken. Wagner selbst charakterisierte die rastlose Suche des Erlösers und die Beziehung des Holländers zu Senta in seiner "Mittheilung an meine Freunde" (1851) wie folgt: „[…] die Sehnsucht nach dem Tode treibt ihn [den Holländer, Anm.] somit zum Aufsuchen dieses Weibes; […] es ist das Weib überhaupt, aber das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, – sage ich es mit einem Worte heraus: das Weib der Zukunft.“

Wandte Wagner seine berühmten „Leitmotive“ schon im „Fliegenden Holländer“ an?

Im „Fliegenden Holländer“ sind bereits Ansätze zur Entwicklung der berühmten „Leitmotivtechnik“ erkennbar, die im 19. Jahrhundert eine umfassende Kultivierung erfuhr und von Wagner als narratives Mittel eingesetzt wurde. Schon im zweiten Takt der Ouvertüre erklingt das charakteristische Holländer-Motiv: Die Hörner spielen den aus reinen Quarten und Quinten bestehenden Signalruf des unheilvollen Geisterschiffs. Die fanfarenartige Melodie durchzieht die gesamte Oper und kommentiert die Handlung: Das Signal ertönt stets dann, wenn vom „Holländer" die Rede ist. Bekannt sind weiters das Senta-Motiv und die Melodie der Matrosen, die ebenfalls immer wieder in der Oper zu hören sind.

In seinem Buch „Oper und Drama“ (1850/51) definierte Wagner die wiederkehrenden Tonfolgen als „melodische Momente“, die das Publikum wie „Gefühlswegweiser durch den ganzen, vielgewundenen Bau des Dramas“ leiten. Durch sie werde man zum „Mitwisser des tiefsten Geheimnisses der dichterischen Absicht“. Diese „Gefühlswegweisern“ sind besonders ausgeprägt im „Ring des Nibelungen“ zu hören. Wagner perfektionierte seine Technik für den Ringzyklus so weit, dass aus Wiedererkennungsmotiven komplexe musikalische Leitfäden entstanden, die kommentieren, vorausdeuten, Erinnerungen wecken und Zusammenhänge herstellen.

Dem „Fliegenden Holländer“ sprach Wagner eine derartige Komplexität noch ab: „Außerdem gewann mein Verfahren, namentlich im Lohengrin, eine bestimmtere künstlerische Form durch eine jederzeit neue, dem Charakter der Situation angemessene, Umbildung des thematischen Stoffes, der sich für die Musik als größere Mannigfaltigkeit der Erscheinung auswies, als dieß z. B. im ‚fliegenden Holländer‘ der Fall war, wo das Wiedererscheinen des Thema's oft noch nur den Charakter einer absoluten Reminiscenz (in welchem dieß schon vor mir bei anderen Komponisten vorgekommen war) hatte.“

Was verstand Wagner unter der „unendlichen Melodie“ und ist diese Idee im „Fliegenden Holländer“ umgesetzt?

In Abgrenzung zur italienischen Tradition der „Nummernoper“ prägte Wagner den Begriff der „unendlichen Melodie“. Seine reifen Opern lassen sich nicht mehr in Rezitative, Arien etc. einteilen, sondern verstehen sich als durchgehender Musikfluss. In diesen speisen die einzelnen melodischen Themen – Stichwort Leitmotive – ein. Die Grundidee der tonalen „Gefühlswegweiser“, die dem Publikum Ungesagtes offenbaren können, spielte auch in Wagners Konzeption der durchgehenden Melodie eine Rolle. Wagner schrieb dazu: „In Wahrheit ist die Größe des Dichters am meisten danach zu ermessen, was er verschweigt, um uns das Unaussprechliche selbst schweigend uns sagen zu lassen; der Musiker ist es nun, der dieses Verschwiegene zum hellen Ertönen bringt, und die untrügliche Form seines laut erklingenden Schweigens ist die unendliche Melodie […]“. Mit „Tristan und Isolde“ (Uraufführung 1865) konnte Wagner seinem Anspruch an einen musikalischen Fluss wohl am ehesten gerecht werden.

Im „Fliegenden Holländer“ steckte der Wandel von der „Nummernoper“ zur „unendlichen Melodie“ in den Kinderschuhen. Die einzelnen „Nummern“ lassen sich zwar noch gut voneinander abgrenzen, eine musikalische Verklammerung ist allerdings schon gegeben. Wagner urteilte in der „Mittheilung an meine Freunde“ (1851) relativ streng über sein Frühwerk: „Das unwillkürliche Wissen von jener traditionellen Form beeinflußte mich noch bei meinem ‚fliegenden Holländer‘ so sehr, daß jeder aufmerksam Prüfende erkennen wird, wie sie mich hier oft noch für die Anordnung meiner Scenen bestimmte […]“. Seine kompositorische Herangehensweise an den „Fliegenden Holländer“ deutete jedoch bereits das Konzept einer „unendlichen Melodie“ an. Er schrieb zunächst die Ballade der Senta, die für ihn „das verdichtete Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand“ darstellte. In diese Ballade legte er „unbewusst den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper […]“. Nach der Fertigstellung des Gesamtwerks sei er sogar dazu verleitet gewesen, den „Fliegenden Holländer“ als „dramatische Ballade“ zu bezeichnen. Die Idee, die Oper als eine durchgehende Ballade zu gestalten, antizipiert in gewisser Weise das Konzept der „unendlichen Melodie“.

Wie nutzte Wagner das Orchester, um die Geschichte des „Fliegenden Holländers“ zu erzählen?

Für Richard Wagner hatte das Orchester einen besonderen Stellenwert: Ähnlich wie dem Chor des antiken Theaters kam ihm die Rolle des Kommentators zu. Mithilfe der Leitmotive illustrierte Wagner die Handlung auch auf der Metaebene, indem er bestimmte erzählerische und emotionale Zusammenhänge über das Orchester transportierte. Das Orchester wurde damit Teil des Narrativs.

Auch im „Fliegenden Holländer“ trägt die Instrumentalmusik die Handlung. Anhand der Ouvertüre lässt sich die illustrative Gewalt des Orchesters besonders gut zeigen: Wagner zeichnete beispielsweise ab Takt sechs das Echo der Klippen Norwegens nach, die den Holländer-Ruf der Hörner widerhallen lassen. Die Streicher verdeutlichen hingegen den heulenden Wind mit chromatischen Tonfolgen. Man ist geneigt, in diesen tonmalerischen Naturnachahmungen eine semantische Verdichtung zu erkennen: Der „Fliegende Holländer“ kämpft in zweierlei Hinsicht gegen die Gewalten – Das Schiff gegen die Elemente, der Kapitän gegen das Schicksal.

Was ist Wagners „Gesamtkunstwerk“ und setzte er dieses Konzept schon im „Fliegenden Holländer“ um?

In seinem Essay „Das Kunstwerk der Zukunft“ plädierte Wagner für die Zusammenführung der einzelnen Künste zu einem „Gesamtkunstwerk“. Die Künste sollten dabei der Handlung dienen, um ein ideales Drama zu schaffen. Diese Idee konkretisierte er in seiner Schrift „Oper und Drama“ (1850/51) und prägte den Begriff des „Tondichters“, um das synergetische Verhältnis zwischen Musik und Dichtung im idealen Drama zu betonen. Die Musik sollte demnach die Handlung unterstützen. Den ersten Schritt zu dieser später auch als „Musikdrama“ bezeichneten Opernform – ein Begriff, den Wagner selbst nicht guthieß – sah er sich mit seiner vierten Oper setzen: „Mit dem ‚fliegenden Holländer‘ […] schlug ich eine neue Bahn ein, indem ich selbst zum künstlerischen Dichter eines Stoffes ward, der mir nur in seinen einfach rohen Zügen als Volkssage vorlag. Ich war von nun an in Bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker.“

Doch nicht nur Dichtung und Musik sollten in Wagners Vorstellung vom idealen Musiktheater eine Einheit bilden; gemäß der Idee des Gesamtkunstwerks sollte die Inszenierung ebenso unerlässliche Rolle spielen. Diese Tendenz wird auch seinen detaillierten Bühnenanweisungen für Aufführungen des „Fliegenden Holländers“, etwa in Zürich 1852, ersichtlich.

Fazit: Warum war der „Fliegende Holländer“ für Wagner also so wichtig?

Richard Wagner skizzierte in seinem „Fliegenden Holländer“ in mehrerlei Hinsicht die Charakteristika seines reifen Werks und bezeichnete es selbst als die Oper, die ihm den Weg zu seinem späteren Schaffen wies. Leitmotive, Erlösungsmythos, Gesamtkunstwerk etc., all das sehen wir bereits im „Holländer“ angelegt. Als erstes seiner frühen Werke fand es daher auch Eingang in den sogenannten „Bayreuther Kanon“. Es ist demnach ein weichenstellendes Werk, das im Steinbruch St. Margarethen sein Echo an die schroffen Steinwände wirft: Das Werk, mit dem Wagner zu Wagner wurde.

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