14.11.2024 *
Wagners „Der fliegende Holländer“ – Von der Sage zur Oper
Richard Wagner ließ sich für seine erste reife Oper von einer alten Seefahrerlegende inspirieren und prägte die Vorstellung vom „Fliegenden Holländer“.
Ein Geisterschiff, das ewig über die Weltmeere segeln muss und ein verfluchter Kapitän, den nur die Treue einer Frau erlösen kann: Richard Wagners (schauer)romantische Oper Der Fliegende Holländer hält Einzug in die Oper im Steinbruch St. Margarethen. Inspiriert von einer Seemannslegende setzte Wagner die Wogen des Meeres in Musik, mit dem Liebes- und Erlösungsmotiv prägte er den Legendenkanon rund um den geisterhaften Kapitän. Es gibt viel Seemannsgarn, das um Sagenfigur gesponnen wurden – woraus Wagner den Stoff für sein frühes Meisterwerk bezog, was ihn inspirierte und wie er der Legende seine eigene Note verlieh, lesen Sie hier.
Was ist die Sage vom „Fliegenden Holländer“?
Der „fliegende Holländer" ist ein rastloser Kapitän, der dazu verdammt ist, auf ewig mit seiner Mannschaft die Welt zu umschiffen – dies ist das einende Hauptmotiv aller Versionen der Sage. In den Details unterscheiden sich die Tradierungen: Das Schiff des Holländers soll unglaublich schnell sein, kann schweben oder taucht plötzlich aus den Fluten auf. Die Mannschaft ist entweder nicht zu sehen oder besteht aus Untoten. Oft bittet der Holländer auch andere Schiffe um das Überbringen von Briefen an längst Verstorbene. Selbst eine Unterscheidung zwischen Schiff und Kapitän ist nicht immer gegeben, denn beide werden als „Fliegender Holländer“ bezeichnet. Eine Erklärung für die vielen Varianten der Geschichte wäre, dass sich die ersten Erzählungen mündlich unter Seefahrern verbreiteten. Dass es sich dabei um einen „Holländer“ handeln soll, kommt nicht von ungefähr, schließlich waren die Niederlande insbesondere im 17. Jahrhundert eine der bedeutendsten Seefahrermächte der Welt.
Angeblich soll der „fliegende Holländer“ noch bis ins 20. Jahrhundert gesichtet worden sein. Eine der bekanntesten Augenzeugenberichte stammt von Prinz George of Wales, dem späteren britischen König George V., und seinem Bruder Albert Victor. Im Logbuch der Prinzen wurde am 11. Juli 1881 notiert, dass das Schiff des Nachts in glühend rotem Licht erschien und plötzlich verschwand.
Literarisch verarbeitet wurde der „Holländer“ erstmals Ende des 18. Jahrhunderts in Form von (fiktiven) Reiseberichten. Vor allem im englischsprachigen Raum erfreute sich das Motiv des Geisterschiffes großer Beliebtheit, durch Wilhelm Hauffs „Die Geschichte von dem Gespensterschiff“ fand das Thema aber auch Eingang in die deutsche Literatur des frühen 19. Jahrhunderts.
Gibt es Erklärungen für die Sage des „Fliegenden Holländers“?
Obwohl die Wurzeln der Sage wohl nie mit Sicherheit geklärt werden können, wurden dazu einige plausible Theorien aufgestellt. Tatsächlich bezeichnet etwa der Begriff „Geisterschiff“ ein altes Phänomen der Nautik: Es handelt sich dabei um auf See aufgefundene Schiffe, die unbemannt sind oder deren Besatzung tot ist. Diese unheimlichen Sichtungen könnten den Mythos rund um den „Holländer“ inspiriert haben. Auch für das „Fliegen“ des Schiffes wurden mögliche Erklärungen gefunden: Luftspieglungen (sogenannte „Fata Morganas“) können den Anschein erwecken, dass Schiffe über dem Horizont schweben. Diese „Phantomschiffe“ können besonders dort beobachtet werden, wo kalte auf warme Luft trifft.
Die Sage wird zudem mit dem bei Seefahrern gefürchteten Kap der guten Hoffnung in Verbindung gebracht. Dort finden sich mit dem Aufeinandertreffen des kalten Bengualstroms mit dem warmen Agulhasstrom nicht nur ideale Bedingungen für Luftspiegelungen, sondern auch für gefährliche Böen. 1652 gründeten die Niederlande am Kap der Guten Hoffnung die Kapkolonie mit der Hauptstadt Kapstadt zur Versorgung der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Zeitgleich mit der Annektierung der Kolonie im Jahr 1806 durch die Briten soll auch der „Fliegende Holländer“ vermehrt gesichtet worden sein.
Als mögliches konkretes Vorbild für den geisterhaften Kapitän wird häufig Bernhard Fokke genannt, der im Auftrag der Niederländischen Ostindien-Kompanie die Handelsroute zwischen den Niederlanden und der Insel Java fuhr – über das Kap der Guten Hoffnung. Er war berüchtigt dafür, dass er diesen Seeweg in sehr kurzer Zeit zurücklegen konnte und egal bei welcher Witterung die vollen Segel hissen ließ. Die unheimliche Geschwindigkeit und sein angeblich jähzorniges Verhalten führten dazu, dass ihm ein Bund mit dem Teufel nachgesagt wurde. Als er von einer Fahrt nicht mehr zurückkehrte, schrieb man es diesem verhängnisvollen Pakt zu: Der Teufel habe ihn geholt und Fokke müsse nun bis in alle Ewigkeit über die Meere kreuzen.
Warum komponierte Wagner den „Fliegenden Holländer?“
Wagner kannte die Geschichte des „Fliegenden Holländers“ bereits aus einem satirischen Roman Heinrich Heines, als er selbst eine Seereise antreten musste. Im Jahr 1839 sah er sich nach dem Verlust seiner Anstellung in Riga nicht fähig, Schulden zurückzuzahlen und entschloss sich zur Flucht über den Seeweg nach London. Die mehrwöchige Reise wurde von Stürmen und der Gefahr der Seenot überschattet. Für Wagner war das laut seiner autobiographischen Skizze (1842) ein prägendes Ereignis: „Diese Seefahrt wird mir ewig unvergesslich bleiben […].“
Doch die stürmische See entlockte Wagners kreativem Geist auch die Idee zu seinem Opernstoff: „Die Durchfahrt durch die norwegischen Schären machte einen wunderbaren Eindruck auf meine Phantasie; die Sage vom fliegenden Holländer, wie ich sie aus dem Munde der Matrosen bestätigt erhielt, gewann in mir eine bestimmte, eigentümliche Farbe, die ihr nur die von mir erlebten Seeabenteuer verleihen konnten.“
Nach seinem Aufenthalt in London reiste Wagner weiter nach Paris und schrieb dort seinen ersten Entwurf für den „Fliegenden Holländer“, den er aus Geldmangel an die Pariser Oper verkaufen musste. Anfang 1841 begann er selbst mit der Vertonung seiner Geistergeschichte. Nach dem großen Erfolg seines Werkes Rienzi gelangte auch der Holländer am Dresdner Hoftheater im Jahr 1843 zur Uraufführung.
Wie verknüpfte Wagner die Geschichte des „Fliegenden Holländers“ mit seinem eigenen Leben?
Wagner orientierte sich bei der Handlung an den Memoiren des Herren von Schnabelewopski von Heinrich Heine, der in ironisierender Art von der Aufführung eines Theaterstücks über den „Fliegenden Holländer“ berichtete. Heine verortete seinen „Holländer“ in Schottland und Wagner tat es ihm zunächst gleich: In der Pariser Fassung spielt die Handlung am fiktiven „Holystrand“ und die Figuren tragen noch englische Namen. Für seine spätere Version griff Wagner auf seine Erfahrungen auf hoher See und die Eindrücke Norwegens zurück: Aus „Holystrand“ wurde die norwegische Bucht Sandwike, die Wagner selbst besucht hatte.
Wagner versuchte also, den „Holländer“ mit seiner eigenen Lebensgeschichte zu verbinden. Die Erwähnungen seiner Seefahrt nach London in Bezug auf die Entstehung des Librettos sind ein untrügliches Zeichen dafür. Auch die Musik soll von dieser Reise geprägt worden sein. In seiner Autobiographie Mein Leben (1865 begonnen, 1880 vollendet) schrieb er dazu: „Ein unsägliches Wohlgefühl erfaßte mich, als das Echo der ungeheuren Granitwände den Schiffsruf der Mannschaft zurückgab, unter welchem diese den Anker warf und die Segel aufhißte. Der kurze Rhythmus dieses Rufes haftete in mir wie eine kräftig tröstende Vorbedeutung und gestaltete sich bald zu dem Thema des Matrosen-Liedes in meinem »Fliegenden Holländer«, dessen Idee ich damals schon mit mir herumtrug und die nun unter den soeben gewonnenen Eindrücken eine bestimmte poetisch-musikalische Farbe gewann“.
Durch die Verknüpfung der Oper mit seiner eigenen Biographie schuf Wagner eine neue Version der bekannten Geschichte und etablierte sie so als sein geistiges Eigentum.
Um welchen wichtigen Punkt ergänzte Wagner die Geschichte des „Fliegenden Holländers“?
Richard Wagners verfluchter Kapitän muss zwar wie in der Sage die Weltmeere umsegeln, aber es gibt einen entscheidenden Twist: Für Wagners Holländer besteht Hoffnung auf Erlösung. Bereits in der Vorlage von Heinrich Heine wird erwähnt, dass die „Treue eines Weibes“ den Bann brechen könne – allerdings diente dies bei Heine der Ironie. Wagner nahm sich dem Thema ernsthaft an und prägte mit seiner musikalischen Verarbeitung die Vorstellung eines sich nach Erlösung sehnenden Holländers. Immer wieder spricht Wagners gemarterter Kapitän seine Hoffnung auf ein Brechen des Fluches an; die ihm versprochene Senta bezeichnet er sogar mehrmals als seinen Engel. Das Motiv der Erlösung sollte Wagner auch in Zukunft beschäftigen, so etwa im Tannhäuser (Uraufführung 1845), im Lohengrin (Uraufführung 1850) und insbesondere – mit christlicher Konnotation – in seinem letzten Musikdrama Parsifal (Uraufführung 1882).
Die zunehmend intensivere Auseinandersetzung Wagners mit dieser Thematik zeigt sich auch in der späteren Bearbeitung des fliegenden Holländer. Im Jahr 1860 ergänzte er das Finale um weitere Takte und vertonte damit die Erlösung der Liebenden, die in verklärter Umarmung gen Himmel aufsteigen sollten – der „erbarmungslose“ schroffe Schluss wurde durch das von Harfen und Holzbläsern dominierte Erlösungsmotiv versöhnlich gestaltet. Auch der Ouvertüre fügte Wagner diese neue Melodienfolge hinzu, womit sie wie eine Verheißung auf die spätere Erfüllung wirkt. Die nun auskomponierte Erlösung steht thematisch und musikalisch in der Tradition des „Liebestods“ aus Wagners kurz zuvor vollendeten Werk Tristan und Isolde. Bis heute kommen jedoch beide Finalvarianten zur Aufführung; für die Oper im Steinbruch St. Margarethen wählte man den gewaltigeren Schluss der früheren Version.
Was verbindet Wagners „Fliegenden Holländer“ mit „Fluch der Karibik“?
Das Seemannsgarn zum Opernstoff wurde bereits lange vor Wagner gesponnen, doch Wagners Einfluss auf die moderne Rezeption der Holländerfigur ist unübersehbar. Wenn in der Filmreihe Fluch der Karibik der aus Liebeskummer verbitterte Kapitän der „Flying Dutchman“ nur alle zehn Jahre an Land gehen darf, zeigt sich ein Wandel: Aus dem gefürchteten geisterhaften Seemann wurde ein tragischer Charakter, dessen Schicksal von unerfüllter Liebe und ewiger Verdammnis geprägt ist. Diese Transformation verleiht dem Holländer auch eine menschliche Dimension und ermöglicht dem Publikum, sich mit seinen inneren Konflikten zu identifizieren.
Wagners nahm den komplexen Charakter des Holländers, den wir auch in Fluch der Karibik finden, vorweg. Seine Oper thematisiert nicht nur den Kampf gegen das Schicksal, sondern auch die Sehnsucht nach Erlösung und die Hoffnung auf eine zweite Chance – Motive, die in der modernen Erzählkunst weiterhin stark resonieren. Oder, wie Wagner es in seiner Mittheilung an meine Freunde 1851 beschrieb: „Die Gestalt des ‚Fliegenden Holländers‘ ist das mythische Gedicht des Volkes; ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gestalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen des Lebens.“
Richard Wagner schuf mit Der fliegende Holländer eine bis heute prägende Version der Sagen rund um den Geisterkapitän. Er nutzte die alte Geschichte des verfluchten Kapitäns, um seine eigenen Erfahrungen auf See zu verarbeiten und beleuchtete die tragische Seite des Holländers. Damit gab er der Sage eine tiefere Bedeutung, die bis in die Popkultur hineinwirkte.
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